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1. Einführung – Problemstellung
Im Mittelpunkt nachfolgender Ausführungen stehen geomorphologische
Betrachtungen, die
letztlich zur Klärung der Schutzwürdigkeit des äolischen Reliefs (der
Binnendünen) in der „Bremer
Schweiz“ (Bremen-Nord) beitragen sollen.
Der Frage der Schutzwürdigkeit wird im Folgenden unter Beurteilung vor
allem geologischgeomorphologischer Gesichtspunkte nachgegangen. Die
Geologie, vor allem aber die Geomorphologie als Wissenschaft der
Reliefformen der Erde, d.h. der Gestalt, Anordnung und Entwicklung der
Erdoberflächenformen, generiert gegenüber den Biowissenschaften
weitgehend eigenständige Schutzkriterien. Die Kriterien des Schutzes der
unbelebten Natur stehen nicht immer mit den Interessen des Schutzes der
belebten Natur (biowissenschaftlich motivierter Naturschutz) im Einklang
und stellen diesen unter Umständen konträre Entwicklungsmaßnahmen
gegenüber. Ziel sollte jedoch ein Konsens der Bemühungen zum Schutz der
belebten Natur und der unbelebten Natur sein.
Die Wurzeln des Schutzes der unbelebten Natur, d.h.
geologisch-geomorphologischer Objekte und Erscheinungen wie Aufschlüsse,
Landschaftsformen, erdgeschichtliche Bildungen usw., greifen bis in die
Frühphase der Naturschutzbewegung zurück. Sie reichen vom Schutz der
Baumannshöhle im Harz 1668, über den durch Alexander von HUMBOLDT
1819 erstmals definierten Begriff des Naturdenkmals („Monument de la
nature“), den Kauf des Drachenfelsens im Siebengebirge 1836, dem Schutz
des Totensteins im Kreis Görlitz 1844, der Teufelsmauer bei Neinstedt am
HarzNordrand 1852 und weiteren Objekten der Naturdenkmal- und
Heimatschutzbewegung vor 1900, bis hin zur Einrichtung der Staatlichen
Stelle für Naturdenkmalpflege für Preußen 1906, die bereits Dünen und
eiszeitliche Relikte inventarisierte. Dennoch setzt bis heute die
Mehrheit der Bevölkerung als auch der im Naturschutz tätigen Personen,
Vereine und Verbände mit dem Begriff „Naturschutz“ den Schutz der
belebten Natur gleich. Seit Anfang der 1980er Jahre, verstärkt seit
Beginn der 1990er Jahre finden jedoch mit der Gründung nationaler,
paneuropäischer und internationaler Geotopschutz-Arbeitsgremien die
Schutzbelange der unbelebten Natur verstärkt Gehör.
Landschaftsausschnitte von besonderer geologisch-geomorphologischer
Bedeutung, so genannte Geotope, sind nicht nur von
wissenschaftlichem und historischem Wert, sie sind auch aus
ökologischen, ästhetischen (Landschaftsbild) und pädagogischen Gründen
(Veranschaulichung der Landschaftsentwicklung) bedeutsam. Seltene und
beispielhaft ausgebildete Geotope verdienen besondere Aufmerksamkeit, um
ihre Erhaltung – und evtl. schonende Nutzung – sicherzustellen. Geotope
sind gemäß AD-HOC-AG GEOTOPSCHUTZ (1996, S. 4) „erdgeschichtliche
Bildungen der unbelebten Natur, die Erkenntnisse über die Entwicklung
der Erde oder des Lebens vermitteln. Sie umfassen Aufschlüsse von
Gesteinen, Böden, Mineralien und Fossilien sowie einzelne
Naturschöpfungen und natürliche Landschaftsteile. Schutzwürdig sind
diejenigen Geotope, die sich durch ihre besondere erdgeschichtliche
Bedeutung, Seltenheit, Eigenart oder Schönheit auszeichnen. ... Sie
können insbesondere dann, wenn sie gefährdet sind oder vergleichbare
Geotope zum Ausgleich nicht zur Verfügung stehen, eines rechtlichen
Schutzes bedürfen.“
Mit den vor zehn Jahren veröffentlichten Handreichungen zum praktischen
Geotopschutz, „Arbeitsanleitung Geotopschutz in Deutschland“ (AD-HOC-AG
GEOTOPSCHUTZ 1996), die auch international Beachtung fand, und dem auch
für andere Bundesländer beispielhaften Landschaftspflegekonzept
Bayern – Lebensraumtyp Geotope (RINGLER 1998), stehen sehr gute
Instrumente für den Planungsalltag zur Verfügung. Dünen als potentielles
Schutzgut werden darin als eigenständige Gruppe klassifiziert!
Vorliegende Betrachtungen verstehen sich ausdrücklich nicht als
Gutachten zum äolischen Relief der „Bremer Schweiz“ (Bremen-Nord), dann
dazu bedarf es einer intensiveren GeländeBegutachtung und -Analyse. Da
die Bewertung von Geotopen zum Teil eigenständigen Maßgaben folgt, die
im biologischen Naturschutz nicht unbedingt immer ein Pendant finden,
und außerdem die Geotop-Bewertung in der Naturschutzplanung leider immer
noch nicht durchgehend bekannt ist – Geotop-Bewertungen haben noch keine
breitenwirksame Beachtung gefunden –, werden im folgenden einige
zusätzliche Hinweise zur Verfahrensweise eingefügt.

Abbildung 1 + 2: Binnendüne in der "Bremer Schweiz" (Bremen-Nord)
Wie andere Reliefformen (z.B. Vulkankegel, Endmoränen, Dolinen,
Gletschertöpfe, Gletscherschrammen etc.) stellen auch Binnendünen nebst
anderen Bestandteilen des äolischen Reliefs (z.B. Ausblasungswannen = so
genannte Deflationsmulden) wichtige Dokumente der Landschaftsentwicklung
dar. Äolische, d.h. durch den Wind verursachte Erosions- und
Aufschüttungsformen finden sich nicht allein an den Küsten und in den
Wüsten unserer Erde, sondern überall dort, wo in der jüngeren und
jüngsten Erdgeschichte ausreichend ausblasungsfähige Lockergesteine
offen anstanden. Flugsande zeichnen sich aus durch Korngrößen der Fein-
bis Mittelsandfraktion, d.h. Korndurchmesser zwischen 0,063 und 0,63 cm.
In genannten Gebieten war die Vegetationsdecke nur sehr lückenhaft
ausgebildet, so dass vor allem böige Winde, charakterisiert durch ein
hohes erosives Leistungspotential, günstige Angriffspunkte zur
Ausblasung und Verlagerung verwehungsfähiger Sedimente fanden.
Binnendünen und Flugsandebenen sind in Mitteleuropa während der letzten
Eiszeit (Weichselglazial, exakter: vom Hochglazial bis zum Spätglazial
ca. 30.000 bis 10.000 Jahre vor heute) entstanden. Das Entstehungsgebiet
lag weitflächig vor den Inlandeismassen im so genannten
Periglazialbereich. Der Periglazialraum war durch eine den Boden nur
lückenhaft bedeckende Tundrenvegetation (offene bis teiloffene
Kältewüste) gekennzeichnet. Auch die Region um Bremen wies während des
Weichselglazials (der letzten Eiszeit) nur eine lückenhafte
Vegetationsdecke auf, so dass Sande auswehen konnten. Während des
Holozäns, der sich anschließenden gegenwärtigen Warmzeit, wurden mit der
Wiederbewaldung alle Flugsandgebiete befestigt. Doch es stellten sich im
Zuge subrezenter und rezenter Nutzungsperioden, d.h. mit Beginn der sich
ausdehnenden menschlichen Besiedlung ca. ab Atlantikum (5.000 bis 8.000
Jahre vor heute) samt extensiver Wirtschaftsweise und weit verbreiteter
Übernutzungen (vor allem Heidewirtschaftssystem ab ca. 1.000 n.Chr. bis
ins 19./20. Jahrhundert), erneute Sandverwehungen ein. Dabei wurden
vorhandene Dünen überformt, teilweise auch neue Dünen gebildet. Da bis
heute die verwehungsfähigen Sedimente in gleicher Position
oberflächennah anstehen, würde sich durch einen Verlust der bodennahen
Vegetationsdecke und eine Destabilisierung des Bodens eine erneute akute
äolische Erosionsgefahr einstellen. Darauf ist auch bei den
Entwicklungsmaßnahmen zur Ansiedlung standorttypischer
Vegetationsgesellschaften Rücksicht zu nehmen.
Die Binnendünen in der Bremer Schweiz (Bremen Nord), abzugrenzen in etwa
als Areal zwischen den Straßen Am Steending, Wölpscher Straße und Im
Neuen Kamp, fanden bereits bei der Ende der 1960er Jahre erfolgten
Binnendünen- und Flugsandebenen-Kartierung von PYRITZ
(veröffentlicht 1972) Beachtung. PYRITZ gilt als Wegbereiter der
modernen Binnendünen-Forschung und hat durch akribische
Geländebegehungen alle bedeutenden äolischen Reliefs identifiziert. Wie
Abbildung 3 zu entnehmen ist, einer Kopie aus PYRITZ (1972, Beilage 3),
bildet die hier in Diskussion stehende Dünenregion eine der wenigen
(noch) nachweisbaren äolischen Reliefelemente nördlich von Bremen bzw.
am Unterlauf der Weser. Dies deutet bereits auf eine Schutzwürdigkeit
hin.
Die Binnendünen der Bremer Schweiz werden von PYRITZ als so genannte
Jungdünen klassifiziert. Es hat demnach (wahrscheinlich
spätmittelalterliche bis neuzeitliche) Reaktivierungen der
abgelagerten Flugsande gegeben nach der zunächst erfolgten
Wiederbewaldung (nachweisbar i.d.R. durch mehrere vertikal übereinander
geschaltete, verschieden alte Bodenbildungen im Dünenkörper). Das
Ergebnis der Reaktivierung war einer Über- und/oder Neuformung der
Binnendünen. Diese Reaktivierung der dort abgelagerten Flugsande ist
Bestandteil der durch den Menschen beeinflussten Landschaftsgeschichte
und kann eine Erhaltung als Zeugnis der Landschaftsgenese rechtfertigen
– gleiches gilt für die in der älteren Nacheiszeit entstandenen so
genannten Altdünen.
Ausgedehnte Sandabgrabungen, Einebnungen des abwechslungsreichen
Dünenreliefs, landschaftsüberprägende flächenintensive
Wohn-/Gewerbebebauungen haben in der Vergangenheit vielerorts unzählige
Binnendünen unwiederbringbar vernichtet. Ob das zur Diskussion stehende
Bebauungsvorhaben zur als bloße Fortsetzung der skizzierten Entwicklung
angesehen werden
kann, ist davon abhängig, inwieweit mögliche Schutzbelange des äolischen
Reliefs in das Planungsvorhaben und im Planungsfortgang Eingang finden
werden. Es lassen sich folgende zentrale Fragenkreise ableiten, die
beantwortet werden müssen:
• Welchen
geowissenschaftlichen Wert haben die vorliegenden
äolischen Reliefformen? • Wie hoch ist die Schutzbedürftigkeit der äolischen
Reliefelemente? • Welchen Grad der Schutzwürdigkeit erhalten die äolischen
Reliefelemente? • Welche Entwicklungsmaßnahmen im Sinne des Geotopschutzes wären
angebracht?

Abbildung 3: Verbreitung der Alt- und Jungdünen im niedersächsischen
Tiefland (Ausschnitt)
Quelle: PYRITZ 1972, Karte 3, Beilage 3

Abbildung 4: Verbreitung der Alt- und Jungdünen im niedersächsischen
Tiefland (vergrößerter Ausschnitt)
Quelle: PYRITZ 1972, Karte 3, Beilage 3

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4. Bewertung der äolischen Geotope
Ähnlich wie in der Arten- und Biotopkartierung ergeben sich auch bei der
Geotop-Festlegung Abgrenzungsunschärfen, allerdings stellt sich dieses
Problem im Geotopschutz grundsätzlich anders dar als im Biotopschutz.
Intensivlandnutzung hat i.d.R. eindeutige Sprunggrenzen zwischen den
hinsichtlich des Arten- und Biotopschutzes bedeutsamen und wenig
bedeutsamen Flächen geschaffen. Dahingegen bleiben die Abgrenzung
erhaltenswürdiger Geotope von der Ausdehnung intensiv genutzter Flächen
weitgehend unberührt (vgl. auch RINGLER
1998, S. 28). Ausnahmen sind allenfalls bei bestehenden Bebauungen,
umfangreichen tiefbaulichen Eingriffen und künstlichen Aufschüttungen
gegeben. Die Grenzen zwischen einzelnen Geotopen können durchaus
fließend verlaufen. Bei geomorphologischen Erscheinungen kommt es
darüber hinaus auf die Prägnanz der Ausformung im Vergleich des
landschaftstypischen Formeninventars an. Nach meinem Stand des Wissens
(Fachliteratur sowie Auskunft der Aktionsgemeinschaft Binnendüne)
stellen die Binnendünen im Norden von Bremen ein genetisch wie räumlich
eng zusammenhängendes Ensemble äolischer Oberflächenformen dar. So
sollten die Binnendünen nicht als einzelne Geotope sondern als Einheit
bewertet werden. Es sollten möglichst nicht allein die Dünen als
augenfällige Erhabenheiten in Schutz- und Pflegebewertungen Eingang
finden, sondern auch die Zwischen- und Vorfeldräume, d.h. die Matrix des
äolischen Reliefs. Auch wenn Deflationswanne in ihrer ursprünglichen
Gesamtausdehnung nicht mehr vollkommen erhalten sein sollten (dies wäre
zu prüfen), dokumentierten ihre verbliebenen Bereiche die genetische
Verbundenheit einer Deflationsform (Sandauswehung) und zugehörigen
Akkumulationsform (Sandablagerung). Nur in diesem Ensemble des
Reliefinventars würde eine Maßnahme zum Schutz des äolischen
Formenbestandes allen geomorphologischen Schutzansprüchen gerecht
werden.
Zur Feststellung der Schutzbedürftigkeit sind die
Gefährdungssituation und der Schutzstatus vergleichbarer Geotope
heranzuziehen. Von Interesse sind hier vornehmlich bestandsbedrohende
Kriterien. Anhand der von der AD-HOC-AG GEOTOPSCHUTZ (1996, S. 17)
vorgeschlagenen Gefährdungsklassen „keine Gefährdung“, „geringe
Gefährdung“, „erhebliche Gefährdung“ und „akute Gefährdung“ käme für das
vorliegende Areal – bei aller Vorsicht und unter Beachtung einer meines
Wissens noch ausstehenden geomorphologischen Geländeanalyse vor Ort –
wahrscheinlich die Einstufung „erhebliche Gefährdung“ in
Betracht. Die Begründung stützt sich insbesondere auf die Tatsache, dass
bestandsgefährdende Zielvorgaben in fast allen Strukturkonzepten bei
Bebauungsvorhaben vorliegen.
Der Schutzstatus vergleichbarer Geotope kann hier nur wie folgt
abgeschätzt werden: „Mindestens ein vergleichbarer Geotop ist
ausreichend geschützt“, allerdings liegen diese in weiter bis sehr
weiter Entfernung. Wie bereits oben betont, bilden die Binnendünen der
so genannten Bremer Schweiz (Bremen Nord) eine der wenigen (noch)
nachweisbaren äolischen Reliefelemente nördlich von Bremen bzw. am
Unterlauf der Weser. Aus der Schutzbedürftigkeit und dem Schutzstatus
vergleichbarer Geotope leitet sich wiederum die Schutzbedürftigkeit
des Geotops/Geotop-Ensembles ab. „Wenn ein vergleichbarer Geotop
bereits ausreichend geschützt ist, kann die Schutzbedürftigkeit geringer
eingestuft werden“ (ADHOC-AG GEOTOPSCHUTZ 1996, S. 18). Diese
ausdrückliche „Kann“-Bemerkung erhält im vorliegenden Fall besondere
Bedeutung, denn wie bereits beim Punkt „Anzahl gleichwertiger Geotope in
der geologischer Region“ angeführt, reicht eine Binnendüne oder ein
Binnendünen-Ensemble (ein Geotop) keinesfalls aus, um den hier im
Vordergrund stehenden geomorphologischen Gesichtspunkt der hohen
äolischen Formenvielfalt vollends dokumentieren zu können. Dazu bedarf
es einer ganzen Reihe von Dünen und Dünengebieten. Da zudem der
Binnendünenbestand im Bereich Bremen und Unterweser über Jahre und
Jahrzehnte deutliche Schwund-Erscheinungen aufweist, tendiert die
Abschätzung der Schutzbedürftigkeit des vorliegenden
Binnendünen-Ensembles in Richtung „erheblich schutzbedürftig“,
auch hier vorbehaltlich einer genaueren Untersuchung des Geländes.
Das aus dem geowissenschaftlichen Wert und der Schutzbedürftigkeit zu
ermittelnde Gesamtergebnis der Abschätzung des Geotop-Ensembles
führt zu einer Einstufung in die Schutzwürdigkeitskategorie
„erhaltenswert“ oder sogar in die höchste Kategorie
„schutzwürdig“. Dies bedarf jedoch der eingehenden Prüfung und
Abwägung. Betont sei hier nochmals: Erhaltenswert bzw. schutzwürdig sind
nicht nur äolische Vollformen (Erhebungen = Dünen), sondern auch ggf.
vorhandene und auszuweisende Deflationswanne. Selbst randliche
Eingriffe, d.h. vor allem Abgrabungen, Einebnungen oder
Flächenversiegelungen an der Binnendünen-Peripherie würden den Charakter
des äolischen Reliefs empfindlich stören.

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